Um die Erwartungen der anderen geht es im ersten Kapitel von „Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will“.

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Was erwarten andere Menschen von mir? Welches Leben sollte ich ihrer Meinung nach führen?

Diese Fragen zu beantworten, war für mich sehr spannend, denn wie Barbara Sher gleich zu Beginn schreibt, weiß ich vielleicht nicht, was ich wirklich will, aber ich weiß sehr gut, was andere von mir erwarten.
Diese Erwartungen haben sich seit unserer Kindheit durch die verschiedenen Bezugspersonen in unserem Leben sehr deutlich und intensiv eingeprägt und sie beeinflussen uns alle in irgendeiner Art und Weise. Die einen richten ihr Leben danach aus, die anderen rebellieren dagegen und machen alles ganz anders als von ihnen erwartet wird. Aber nichtsdestotrotz reagieren wir auf die „Du-sollst-Botschaften“. Sie sind eigentlich immer unterbewusst in uns präsent und wir führen laut Sher einen inneren Monolog mit ihnen, wie zum Beispiel: „Das wird ihnen bestimmt gefallen.“ oder „Denen werde ich es schon zeigen, dass ich das kann.“

Die erste Frage, der ich mich gestellt habe, war: Wer sagt, dass ich etwas tun soll bzw. nicht tun soll? Wer hat die Erwartungen an mich gestellt? Dies sind zu einem großen Teil meine Eltern, aber auch meine ehemaligen Lehrer und meine enge Freunde.

Die zweite Frage ist dann: Was genau haben die einzelnen Personen von mir erwartet? Bei der Beantwortung dieser Frage ist es unerheblich, ob die Personen wirklich diese Erwartungen an uns gehabt haben oder ob wir es lediglich so empfunden haben.

Bei mir kamen hierbei sehr interessante Aspekte heraus: es beruflich weit bringen, soliden Beruf ergreifen, eine sehr gute Schülerin sein, sehr ordentlich sein, immer alles sauber halten, einen Mann fürs Leben finden, keine Geheimnisse haben, nachdenken vor dem Handeln, keine „dummen“, unnötigen Fehler machen, sachlich sein statt emotional, fleißig und ehrgeizig sein usw.
Diese Erwartungen insbesondere meiner Eltern haben mich sehr stark beeinflusst und tun es noch heute, denn ich bin eher eine Person, die sich den Erwartungen unbewusst angepasst und diese als ihre eigenen Ziele übernommen hat, als dagegen zu rebellieren.

Doch wie beeinflussen uns unsere näheren Bezugspersonen eigentlich?

In den meisten Fällen tun sie dies nicht auf eine plumpe Weise und sagen: „Kind, du wirst mal ein erfolgreicher Rechtsanwalt werden. Basta!“ Es läuft wesentlich subtiler ab. Oft lässt man uns als Kind nur wissen, was wir nicht tun sollen. Zum Beispiel wird über andere Personen gesprochen: „Schau dir mal den Nachbarssohn an, der ist sehr schlau, aber in der Schule eine Niete.“ oder „Die von nebenan hat schon wieder einen neuen Mann. Die wechselt ja von einem zum nächsten.“ Hören wir solche Botschaften öfter, pflanzen sie sich in unseren Köpfen unbewusst ein: „Du musst gut sein in der Schule.“ oder „Sei beständig/ treu und such dir gleich den richtigen Mann.“

Und warum tun uns dies gerade die Personen an, die uns so gern haben?

Auch darauf hat Barbara Sher eine Antwort. Sie wollen im Grunde nur das Beste für uns und haben in ihren Köpfen Bilder von erfolgreichen Söhnen und Töchtern, die rundum abgesichert sind. Dabei haben sie ihre eigenen Träume und Erfahrungen, die sie auf uns projizieren. Nur wenige Eltern und andere Bezugspersonen haben die Gelassenheit, uns unsere eigenen Träume und Wege gehen zu lassen, auch wenn sie dies behaupten. Dafür sind die meisten einfach zu dicht an uns dran.
Daher respektieren fremde Menschen unsere Träume viel eher als Mitglieder unserer Familie. Fremde Menschen hören uns oft einfach interessiert zu, wenn wir von unseren Träumen erzählen, und respektieren diese.

Unsere Aufgabe ist es, unsere Träume herauszufinden und sie gleichzeitig von den Erwartungen der anderen abzugrenzen. Das heißt, man sollte sich jedes Mal fragen, wenn ein neuer Wunsch in einem aufkeimt, ob man dies tut, um auf die „Du-sollst-Botschaften“ unbewusst zu reagieren oder ob es sich tatsächlich um einen echten Herzenswunsch handelt.
Denn nur unsere eigenen Träume bringen zum Ausdruck, wer wir sind. Versuchen wir in unserem Leben nur die Erwartungen anderer zu erfüllen oder dagegen anzugehen, so tun wir eigentlich nichts Echtes für uns und wir werden uns immer mehr oder weniger fremd in dieser Rolle vorkommen. Dazu kommt noch, dass sich die Erwartungen, die unbewusst an uns gerichtet werden, manchmal auch stark widersprechen. Es ist also kein Wunder, dass uns die Erwartungen in eine Verwirrung stürzen, wenn wir davon unser Leben beeinflussen lassen. Um so wichtiger ist es daher, sie von unseren Träumen zu differenzieren.

So und zum Abschluss dieses Kapitels gab es noch eine ganz tolle Übung, in der ich mich so richtig auslassen konnte. Ich sollte (ob grafisch oder schriftlich) ein Bild entwerfen, welches alle Erwartungen der anderen an mich enthält, und nicht eher aufhören, bis wirklich alle zufrieden wären.
Dabei zeigte sich bei mir sehr schön, was diese Übung bezwecken sollte. Wenn ich all diese Erwartungen perfekt erfüllt hätte, wäre ich heute der SUPERMENSCH! Das wäre völlig unmöglich und unrealistisch! Als ich das Bild fertig entworfen habe, musste ich erst mal laut loslachen, so absurd kam es mir vor.

Was habe ich daraus gelernt:

  1. Ich habe die Erwartungen meiner wichtigsten Bezugspersonen an mich aufgedeckt.
  2. Ich verstehe jetzt, dass es etwas völlig Natürliches ist, dass ich darauf reagiere und in meinem Fall versuche, sie zu erfüllen!
  3. Ich weiß nun aber auch, dass diese Erwartungen völlig überzogen sind und ich es niemals schaffen werde, sie alle zu erfüllen.
  4. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass diese Erwartungen zum Teil erst in meinem Kopf so groß geworden sind (z.B. das „Weit bringen“ habe ich für mich so ausgelegt, dass ich als Frau eine großartige Karriere machen solle…meine Eltern wären aber absolut zufrieden mit dem Job, welchen ich aktuell habe)
  5. Ich versuche nun zukünftig, meine Wünsche dahingehend zu überprüfen, ob es meine echten Wünsche sind oder nur Versuche, die Erwartungen der anderen zu erfüllen.